Die Ordnung des Friedens im 18. Jahrhundert

Die Ordnung des Friedens im 18. Jahrhundert

Organisatoren
Heinz Duchhardt/Dennis Dierks/Niels F. May, IEG Mainz
Ort
Graz
Land
Austria
Vom - Bis
25.07.2011 - 29.07.2011
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Von
Niels F. May, Institut für Europäische Geschichte Mainz

Immer schon waren Krieg und Frieden Teil menschlichen Zusammenlebens. Die Frühe Neuzeit war prägend für die Entwicklung der Begrifflichkeit, die lange Zeit, das Nachdenken über diese Phänomene bestimmte. Dies war vor allem durch die Genese des modernen Staates bedingt, der bis heute die Rahmenbedingungen mitvorgibt und somit die Bedingungen von Krieg und Frieden bestimmt. Frieden bedurfte aufgrund der divergierenden Interessen deswegen immer der Vermittlung zwischen den kriegführenden Parteien und somit bestimmter Übersetzungsleistungen, welche die abstrakte Idee Frieden ins Konkrete umsetzbar machte. Schon in der frühneuzeitlichen Publizistik, verstärkt nach der Wende zum 18. Jahrhundert, wurde die Notwendigkeit, über Frieden öffentlich nachzudenken und diesen in verschiedene Diskurse zu übersetzen, erkannt.

Das Panel „Die Ordnung des Friedens im 18. Jahrhundert“, das im Rahmen des Grazer Kongresses zur Erforschung des 18. Jahrhunderts stattfand, und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen eines Verbundforschungsprojekts zu Übersetzungsleistungen von Diplomatie und Medien gefördert wurde, nahm sich dieser Problemstellung an und ging dabei folgenden Fragen nach: Wie funktionieren Friedensordnungen? Welche Voraussetzungen mussten gegeben sein, um das Miteinander politischer Gemeinschaften grenzübergreifend denken zu können? Wie stellte sich die konkrete Umsetzbarkeit dar? Frieden als Übersetzungsleistung zu denken, soll es ermöglichen, so eine zentrale Annahme des Panels, vielfältige Aspekte des Phänomens zu analysieren, die jenseits klassischer politikgeschichtlicher Fragestellungen liegen.

HEINZ DUCHHARDT (Mainz) hob einleitend hervor, dass die Friedens- und Konfliktforschung auf eine lange Tradition zurückblicken könne. In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg seien wichtige Arbeiten entstanden, die bis heute die Grundlage historischer Friedensforschung bilden: zu nennen sind beispielsweise Dickmanns Geschichte der Westfälischen Friedensverhandlungen oder die Quellensammlung „Ewiger Frieden“, die von v. Raumer besorgt wurde. Eine Reihe von Forschungseinrichtungen – insbesondere Augsburg, Bonn, Mainz und Osnabrück – widmen sich in der Nachfolge der Erforschung von Konflikten und deren Beendigung, wobei der Frieden in der Forschung allgemein zunehmend zugunsten der Bellizität der Epoche in den Hintergrund trete.

Im Anschluss stellte der Projektleiter und Verbundkoordinator MARTIN ESPENHORST (Mainz) die Architektur und Leitfragen des BMBF-finanzierten Verbundforschungsprojekts „Übersetzungsleistungen von Diplomatie und Medien im vormodernen Friedensprozess“ vor. Übersetzung werde in diesem Projekt, so Espenhorst, als weitgefasster Begriff verstanden, der auch kulturelle Übersetzungsleistungen berücksichtige, und nicht allein auf die Translation von Texten zu reduzieren sei. Seine Vorüberlegungen stellten eine der Grundannahmen des Panels ausführlich vor. Die verschiedenen Beiträger nahmen diese Ausführungen im weiteren Verlauf in sehr verschiedener Weise auf und belegten die heuristische Tragfähigkeit des Begriffs der Übersetzung für die historische Friedensforschung. Espenhorst stellte schließlich zur Diskussion, ob Frieden als eine kulturelle Innovation gesehen werden könne, deren Wirkmächtigkeit als Ziel und Aufgabe politischen Handelns sich erst durchsetzen müsse.

Den thematischen Auftakt machte OLAF ASBACH (Hamburg) mit seinem Grundsatzvortrag zur Bedeutung verschiedener Strömungen zur Friedenswahrung im 18. Jahrhundert. Grundannahme seiner Überlegungen war, dass erst die Institutionalisierung von Ordnung Normativität schaffe und wiederum deren Bruch ermögliche. Dieses Paradox schreibe sich, so Asbach, in die generelle Entwicklung der modernen Staatenwelt ein. Dies sei vor allem durch die in der Frühen Neuzeit gesteigerte Pluralisierung und der Suche nach Lösungen, die diesem neuen Sachverhalt Einheit gebieten konnten, bedingt. Ein erster Lösungsversuch sei durch das Konzept der Souveränität gegeben, das wiederum zur Konkurrenz unter den verschiedenen politischen Gebilden führe und somit keinen Frieden garantieren könne. Das Streben nach Frieden und Recht bliebe aber trotz aller Umbrüche erhalten und man habe daher versuchen müssen, auf diese neuen Herausforderungen zu reagieren. Asbach unterschied anschließend an diese Überlegungen drei Strömungen, die sich mit der Lösung der entstandenen Probleme befassten. Als erstes analysierte er Ordnungskonzeptionen, die dem gegenwärtigen Zustand mit dem Konzept des Gleichgewichts als Sicherheit entgegentraten. Dafür, so der Referent, sei eine strukturelle Gleichheit der Akteure Grundvoraussetzung. Darüber hinaus müsste die politische Ordnung als kalkulierbar und berechenbar verstanden werden. Gleichgewicht sei aber kein Mittel zur Garantie von Frieden, sondern nur Mittel zur Regelung. Eine zweite Hauptströmung repräsentiere das Völkerrechtsdenken der Frühen Neuzeit. Auch wenn sich noch das positive Recht und das Naturrecht gegenüberständen, so ließe sich erkennen, dass beide Bewegungen im freien Willen der Akteure ihren Ausgangspunkt hätten. Somit könne aber ebenfalls keine Garantie für dauerhaften Frieden gewährleistet werden, weil keine Instanz oberhalb der Akteure Autorität zur Entscheidung von potenziellen Konflikten besäße. Als dritte Strömung untersuchte Asbach Friedensprojekte mit institutionellen Lösungen von Friedensordnungen, wie sie im 18. Jahrhundert vorgeschlagen wurden (Saint-Pierre, Rousseau, Kant). Diese Lösungsansätze begegneten dem Problem der Bellizität mit Vorschlägen zur Schaffung supranationaler Organisationen, die durch die beteiligten Gemeinwesen legitimiert seien sollten und somit das Problem der Legitimität von Rechtszwangsgewalt lösen wollten. Die historische Typologie Asbachs belegt ein Grundparadox der modernen Staatsbildung: die Konstruktion von Normativität zur Aufrechterhaltung des Friedens und die damit erzeugte erhöhte Wahrscheinlichkeit des Normenbruchs. Durch diesen Vortrag wurde prinzipiell die Frage nach der Möglichkeit der Konstruktion von dauerhaftem Frieden gestellt. Gleichzeitig zeigte Asbach durch seine Typologie aber auch, dass es vielfältige Bestrebungen gab, der Bellizität zu begegnen.

Die beiden anschließenden Referate setzten sich dann mit medialen Übersetzungen von Frieden im 18. Jahrhundert auseinander. INKEN SCHMIDT-VOGES (Osnabrück) skizzierte in ihrem Vortrag die Utrechter Friedensverhandlungen als Wendepunkt der europäischen Friedenspublizistik. Sie zeigte, dass in der Presse Handelsinteressen immer mehr in den Vordergrund rückten. Kollektiver Bezugsrahmen sei dabei nicht mehr nur die Dynastie, sondern nach und nach auch die Nation gewesen. Die zunehmende Bedeutung der Publizistik zeige sich besonders in den Archiven, wo die Abschriften aus der Tagespresse deutlich zunähmen. Die Druckzeugnisse belegten darüberhinaus, so die Referentin, die enge Verknüpfung von in der Historiografie meist getrennt behandelter Phänomene, so beispielsweise die Zusammenhänge zwischen dem Nordischen Krieg und dem Spanischen Erbfolgekrieg. Auch die außereuropäischen Gebiete stellten in diesem Zusammenhang einen wichtigen Berichterstattungsgegenstand der Publizistik im Zusammenhang mit dem Utrechter Frieden dar. Auch fänden Reichsangelegenheiten in den Zeitungen ihren Widerhall, wie Schmidt-Voges am Beispiel Bremens und den Interventionen Bothmers in London zur Anerkennung der englischen Thronfolge zeigte. In ihrem Vortrag wurde somit deutlich, dass die Übersetzungen von Friedens- und Ordnungsvorstellungen in die zeitgenössische Publizistik weitere Aufschlüsse über die Friedenspraxis geben können. Die Untersuchung der Auswirkungen von Friedensverhandlungen in der Publizistik ist in den letzten Jahren auch für die westfälischen Friedensverhandlungen vorangetrieben wurden, so dass sich eine Reihe von Vergleichsmöglichkeiten auftun könnten.

BENJAMIN DURST (Augsburg) schloss mit seiner Untersuchung über den Zusammenhang zwischen der Ordnung der Verträge und der Ordnung der Staaten direkt an die Quellengattung der zeitgenössischen Publizistik an. Untersuchungsgegenstand des Vortrags waren aber nicht mehr die Presse, sondern zeitgenössische Vertragssammlungen. Anders als Schmidt-Voges untersuchte Durst nicht den Inhalt der publizistischen Schriften, sondern deren formalen Aufbau und somit die von ihnen erzeugten Wissensordnungen. Ausgehend von der Unterscheidung zwischen Information und Wissen im Anschluss an Peter Burke, wurde in Dursts Vortrag die Bedeutung von Erschließungs- und Findmitteln wie Registern für den vormodernen Prozess der Friedensordnung untersucht. Am Beispiel vormoderner Vertragssammlungen konnte Durst somit zeigen, wie zeitgenössische Ordnungsvorstellungen in Erschließungsmittel übersetzt wurden und somit bis heute den Zugang der Geschichtswissenschaft strukturieren.

Die beiden folgenden Referate widmeten sich dem Problem der Übersetzungsleistung zur Schaffung von Frieden in komplementärer Weise und erweiterten gleichzeitig die in den vorherigen Referaten eröffneten Forschungsperspektiven durch eine Überkreuzung verschiedener Übersetzungsbegriffe. CHRISTINE ROLL (Aachen) thematisierte in ihrem Vortrag zu Russland eine Reihe von verschiedenen Quellengattungen (Verträge, diplomatische Korrespondenzen, politisches Schrifttum, Übersetzungen etc.). Entgegen des Wunschs Katherinas der Großen, so die Referentin, sei es in Russland nicht zur einer Sammlung der Friedensverträge nach dem Vorbild Dumonts gekommen, sondern nur zu einer Vertragssammlung der Verträge nach 1648. Roll analysierte anschließend daran die Übersetzung von Ordnung in Begründungsmetaphern in russischen Friedensverträgen. Dort ließe sich ein Übergang von „christianitas“, über „quies publica“ zum „maintien de la paix“ feststellen. Roll hob außerdem hervor, das es für den Begriff der „Sicherheit“ im Russischen kein vollständiges Äquivalent gebe, sondern nur Annährungen durch Begriffe wie „Gefahrlosigkeit“. Roll stellte abschließend heraus, dass gerade zur Erforschung der hier thematisierten Sachverhalte die Quelleneditionen des 20. Jahrhunderts oft lückenhaft seien, weil Titulaturen, Präamblen etc. oft aus Platzgründen nicht mit aufgenommen worden seien.

DENNIS DIERKS (Jena) fragte daran anschließend nach der Rolle von Wissen im Friedensdiskurs. Am Beispiel der Gesandtschaft Preußens nach Istanbul konnte er zeigen, dass man teilweise von europäischer Seite mit sehr naiven Vorstellungen in die Verhandlungen mit dem osmanischen Reich eintrat. In den Sendschreiben des Gesandten seien die Titulaturen und der Name des Großvisiers freigelassen geworden, da man in Preußen darüber nichts gewusst habe. Der von Preußen vorgeschlagene Bündnisvertrag sei, so Dierks, schon auf formaler Ebene dem osmanischen Reich unbekannt. Auch die vertröstenden Formeln, die von osmanischer Seite gebraucht wurden, sei vom preußischen Gesandten Rexin entweder gegenüber dem König verschwiegen oder nicht verstanden worden. Der Vortrag zeigt somit die Notwendigkeit von kulturellen Übersetzungs- und Vermittlungsprozessen für die Schaffung des internationalen Staatensystems und der Garantie von Frieden.

DANIEL HILDEBRAND (Mainz) fasste die Ergebnisse der Referate abschließend in seinem Vortrag zusammen.

Die Sektion zur Ordnung des Friedens im 18. Jahrhundert eröffnete somit insgesamt eine Reihe von Forschungsperspektiven, die teilweise noch unerforschtes Neuland darstellen. Eine vertiefende Bearbeitung einer ganzen Reihe von aufgeworfen Fragen, so zeigte das Panel deutlich, steht noch aus. Die Verknüpfung der kultur- und auch strukturgeschichtlichen Fragestellungen mit der Friedensforschung erwies sich insgesamt als tragfähig. Der Übersetzungsbegriff, der von den verschiedenen Beiträgern sehr unterschiedlich verwendet wurde, kann so als eine Schlüsselkategorie dienen, um der Friedensforschung neue Impulse zugeben.

Konferenzübersicht:

Heinz Duchhardt (Mainz): Begrüßung

Martin Espenhorst (Mainz): Einführung: Translationsleistungen im vormodernen Friedensprozess.

Olaf Asbach (Hamburg): Ordnungen des Friedens? Ordnungen des Konflikts. Ambivalenzen der Diskurse über die internationalen Beziehungen im 18. Jahrhundert.

Inken Schmidt-Voges (Osnabrück): Akteure, Wissen und Medien. Die Friedensverhandlungen von Utrecht 1712/13 als Wendepunkt vormoderner Friedens-Ordnungen?

Benjamin Durst (Augsburg): Von der Ordnung der Verträge zur Ordnung der Staaten. Zum Einfluss von Vertragsregistern auf die politische Theorie und den europäischen Friedensdiskurs im 18. Jahrhundert.

Christine Roll (Aachen): Russland und die europäische Friedensordnung im 18. Jahrhundert.

Dennis Dierks (Jena): Wissen im Friedensprozess. Das Habsburgerreich, Preußen und das Osmanische Imperium im 18. Jahrhundert.

Daniel Hildebrand (Mainz): Schlusskommentar.


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